1905 – 1921

In aller Frühe, zwischen 3 und 4 Uhr am 4. Juli 1905, wird mit Böllern und Gewehrschüssen die Fahnenweihe eingeläutet. Um 5 Uhr erscheint die bestellte Musikkapelle aus Kirchentellinsfurt, um 9 Uhr ist gemeinschaftlicher Kirchgang. Das Festmahl kostet pro Person 1 Mark im Vereinslokal, nach dem Festzug durch das Dorf folgen die Reden und endlich wird die Fahne feierlich enthüllt. Die Chronik schließt diesen Tag mit der Bemerkung: „Auch die Musik ist zur Zufriedenheit ausgefallen, welche um 11 Uhr den Schluss machte, der Ball war ziemlich gut ausgefallen“.

Nach der nächsten feierlichen Veranstaltung, nämlich der Fertigstellung des Gerätehäuschens im Juni 1906, hat der Turnverein aber doch eine eigene Musikgruppe aufgestellt.

Nach einem Jahrzehnt des Wachsens und Gedeihens ändern sich auch für den Turnverein Pfrondorf die Zeiten zum Schlechteren hin. Das politische Klima im Land wird rauer und radikaler, der Weltkrieg wirft erste Schatten voraus. Ein Großteil der Mitglieder entstammt der Arbeitnehmerschaft: Steinhauer, Bauarbeiter, Metall- und Holzarbeiter. Die meisten sind in den neu erstarkten Gewerkschaften organisiert. Im Herbst 1912 fordert der Kreisverband Reutlingen seine Mitglieder auf, zur „Freien Turnerschaft“, d. h. zu den gewerkschaftlich organisierten Arbeiter-Turnverbänden überzutreten. In den Versammlungen des Turnrates wird heiß diskutiert, das Protokoll der Sitzungen ist den einen zu deutlich, den anderen aber nicht deutlich genug. In der Sache ist man sich bald einig: der Verein soll weiter bei der Deutschen Turnerschaft verbleiben und nicht der Vereinigung der Freien Turnerschaften beitreten. Über die Arbeit des Schriftführers aber geht der Streit weiter. Der Antrag, das Protokoll der entscheidenden Sitzung ganz aus dem Protokollbuch zu entfernen, wird abgeschmettert. Stattdessen sollen die Protokolle verbleiben, aber deutlich durchgestrichen werden. So enthält das Protokollbuch zwei Einträge, beide aus dem Jahr 1912, die durchgestrichen sind. Der Schriftführer aber wird ausgewechselt.

Nachdem in der Folge die Freie Turnerschaft auch in Pfrondorf einen eigenen Turnverein gegründet hat und doch viele Mitglieder zur Freien Turnerschaft abwandern, verbinden sich die beiden Vereine 1919 unter dem Dach des Arbeiter-Turner-Bundes. Beide Vereine verschmelzen völlig unaufgeregt zur „Freien Turnerschaft Pfrondorf“.

Der Erste Weltkrieg trifft den Verein, trotz der dunklen Vorzeichen, ziemlich überraschend. Die auf den 1. August festgesetzte Monatsversammlung muss ausfallen, da das Oberamt kurzerhand alle Versammlungen „wegen des bevorstehenden Kriegszustandes“ verboten hat. Sind in den folgenden Annalen noch einzelne Gefallene namentlich aufgeführt, wobei sich „die Versammlung zu Ehren ihrer Helden von ihren Sitzen erhob“, so fehlen mit Fortdauer des Krieges diese Einträge. Stattdessen wird beschlossen, eine Ehrentafel mit den Namen der gefallenen Mitglieder im Vereinslokal aufzuhängen. Eine solche Ehrentafel hat auch die Gemeinde im Sinn, die Vereine sind aber schneller. Im August 1922 wird die Ehrentafel der Vereine feierlich in der Kirche enthüllt – die Vertreter der Gemeinde machen gute Miene zu diesem Eklat.

Der Turnbetrieb geht auch während des Krieges weiter, auch wenn manche auswärtige Veranstaltung mangels Teilnehmern nicht mehr, wie gewohnt, besucht werden kann. Über das Kriegsende sind keine Aufzeichnungen vorhanden.

Der neue Verein, der aus der Verschmelzung der beiden Pfrondorfer Turnvereine hervorgegangen ist, braucht eine neue Fahne. Im Sommer 1921, die Nachkriegswirren klingen schon langsam ab, richtet sich das Augenmerk nicht mehr ausschließlich auf den Lebensunterhalt. Kultur ist wieder ein Thema und was liegt näher, als mit der feierlichen Weihe einer neuen Fahne den Blick nach vorne zu richten. Schon Tage vorher machen sich „die Festdamen große Mühe mit dem Herstellen der Guirlanden“, und auch die Turngenossen beteiligen sich rege an den Vorbereitungen. Am Sonntagfrüh 4 Uhr wird dann von der vereinseigenen Musik die Tagwacht geblasen, Böller und Pistolenschüsse reißen auch den Letzten aus dem Schlaf. Die gesamten Arbeiterturnvereine der Umgebung, 17 Gastvereine insgesamt, geben der neuen Fahne das Geleit. „Mögen dem Verein schöne Erfolge beschieden sein unter seiner neuen Fahne“, schließt das Protokoll. Das Feld, auf dem diese Erfolge errungen werden sollen, wird nicht genannt, jedoch verzeichnet die Chronik den Ärger des Vorstands, dass an der Fahnenweihe „leider verschiedene Sachen vorgekommen seien, die nicht hätten passieren sollen“. Den Rest verschweigt der Schriftführer.